Aikido

Aikido

Auch der stärkste Mensch verfügt
nur über einen begrenzten Wirkungskreis
seiner Kraft.

Nimm ihn heraus aus diesem Wirkungskreis,
hinein in deinen eigenen,
und seine Kraft löst sich auf.

Morihei Ueshiba – O Sensei

Holzschnitt von Utagawa Kuniyoshi, 1847Die Wurzeln

Genaugenommen hat Aikido mit den alten japanischen Kriegskünsten mehr gemein, als die meisten modernen Erscheinungsformen des Budo, die heute vornehmlich als Sport gelehrt werden. Morihei Ueshiba, der Begründer des Aikido, entstammte einer Familie, die sich der Tradition der Samurai verpflichtet fühlte und hatte neben einer Reihe verschiedenster Kampfkünste ein intensives Studium des Daito-ryu Jujutsu betrieben, einer Jahrhunderte alten geheimen Kunst der japanischen Kriegerkaste, in die nur ausgewählte Schüler eingeweiht wurden. Sein Lehrer war der legendäre Schwertmeister Takeda Sokaku, der angeblich letzte tatsächliche Samurai in Japan. Man weiß auch von einem Diplom Ueshibas, das ihm von einer der höchstangesehenen Schwertkampf-Schulen seiner Zeit verliehen worden war.

So kommt dem beidhändigen Langschwert der Samurai, dem Katana, ein wesentlicher Stellenwert im Konzept des Begründers zu. Der Begriff des Schwertes findet sich als beständig wiederkehrende Metapher in seinen philosophisch-spirituellen Ausführungen, aber auch als reale Waffe nahm es eine zentrale Rolle in seiner praktischen Lehre des Aikido ein. Bis ins hohe Alter betrieb Morihei Ueshiba regelmäßige Schwertübungen und hielt auch seine Schüler dazu an. Viele der reinen Körpertechniken des Aikido beruhen auf zugrundeliegenden Formen des Schwertkampfes.

Über die konkreten Hintergründe, welche für die ebenfalls fundamentale Stellung der anderen Hauptwaffe im Aikido, des Stabes, verantwortlich sind, ist hingegen vergleichsweise wenig bekannt. Einen großen Einfluss dürfte, neben traditionellen Formen des japanischen Stockkampfes, Ueshibas Militärzeit ausgeübt haben, während der er als Meister im Umgang mit dem Bajonett galt. In vielen Stab-Techniken des Aikido spiegelt sich dessen Handhabung wieder.

Ai Ki DoDer Name

Erst relativ spät, im Jahr 1942, hat Morihei Ueshiba sich entschieden, seiner Kampfkunst den Namen Aikido zu geben. Zuvor hatte er die Bezeichnungen Aiki-Bujutsu und Aiki-Budo verwendet.

Eine eindeutige, vollständig korrekte Übersetzung des Wortes ist nicht ohne Weiteres möglich. Die drei Silben, aus denen es gebildet wird, haben in etwa folgende Bedeutung:

合 Ai

Harmonie, Gleichgewicht

気 Ki

(Kosmische) Energie, Kraft, Lebenskraft

道 Do

Weg, Pfad, Lebensweg

Die offizielle Interpretation dieser Begriffe, in Bezug auf die Kampfkunst Aikido selbst sowie auf die dahinterstehende Intention des Begründers, variiert zwischen den verschiedenen Schulen. In gewisser Weise hängt sie ab, von den weltanschaulichen Schwerpunkten der jeweils richtungsgebenden Meister, seien sie spiritueller, philosophischer, sozialer, oder technischer Natur.

Die Idee

Morihei Ueshiba - O SenseiDer Begründer des Aikido, Morihei Ueshiba, war ein überaus spiritueller Mensch. Nach intensiven Erfahrungen von Gewalt, in Kampf und Krieg, sowie einer Reihe persönlicher Schicksalsschläge, begann er, sich in zunehmenden Maße mit den Möglichkeiten zur Überwindung gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen Menschen und Nationen zu beschäftigen. Einen prägenden Einfluss auf sein Denken übte der religiöse Führer Onisaburo Deguchi aus, ein sehr populärer Friedensprediger im damaligen Japan.

Ueshiba berichtete vom Erlebnis einer spirituellen Vision im Alter von 42 Jahren, infolge derer er den Weg erkannte, auf welchem sein Ziel der gesellschaftlichen Gewaltlosigkeit zu erreichen sei: Wenn es gelingt, die Dualität von Sieger und Besiegtem, Triumph und Demütigung aufzuheben, kann so die endlose Spirale einer stets nach Vergeltung strebenden Gewalt durchbrochen werden.

Ähnliche Ideen findet man in vielen friedensorientierten Denkschulen weltweit. Wesentlich für Morihei Ueshibas Konzept ist, dass als Kern seiner Lösung nicht der bedingungslose Verzicht auf Kampf und Gegenwehr gefordert wird. Vielmehr soll der Angriff eines Gegners bewusst angenommen werden, allerdings ohne ihm seinerseits mit direkt entgegengesetzter Kraft, oder Brutalität zu begegnen. Stattdessen gilt es, sich mit den gegnerischen Bewegungen zu harmonisieren, sie zu lenken und dadurch Kontrolle über den Angreifer zu erlangen, ohne ihm unnötig zu schaden, oder ihn zu töten. Auf diese Weise schützt der Akidoka nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Gegner, dem er damit zugleich Respekt und Wertschätzung bekundet. Im Idealfall erkennt der andere, dass jeder Angriff sinnlos ist, und lässt von seinem Vorhaben ab. Er beendet dann den Kampf nicht als Besiegter, sondern als Entscheidender, der nichts zu rächen hat.

Eine konsequente Folge dieses Ansatzes ist, dass es im Aikido keine Wettkämpfe gibt. Die Prinzipien von Sieg und Niederlage stünden im fundamentalen Gegensatz zur Idee des Begründers.

YonkyoDas Prinzip

Als reine Selbstverteidigungskunst unterscheidet sich Aikido grundlegend von vielen populären asiatischen Kampfsportarten, wie Judo, Karate, oder Taekwondo. Techniken sind so angelegt, dass sie einen Angriff neutralisieren, oder die Energie des Angreifers aufnehmen, um sie zur eigenen Verteidigung zu nutzen.

In traditioneller japanischer Betrachtungsweise ist es Ki (気), die alles durchströmende kosmische Energie, welche der Aikidoka in sich bündelt, um sie fokussiert zur Abwehr eines Angreifers einzusetzen. Aus eher nüchterner westlicher Sicht, handelt es sich bei Aikido um eine höchst effiziente Anwendung biomechanischer Prinzipen auf die menschliche Anatomie. Beide Modelle sind gleichermaßen faszinierend, und es bleibt jedem selbst überlassen, sich zwischen ihnen zu orientieren.

Für außenstehende Betrachter ist nicht ohne Weiteres erkennbar, wieso scheinbar einfache Bewegungen des Aikidoka derart massiv auf einen Angreifer einwirken. Oft wird unterstellt, es handele sich bei Aikido um eine Art Schaukampf, der das Einverständnis des Geworfenen voraussetze. Da solche Beobachtungen in der Regel bei öffentlichen Vorführungen gemacht werden, ist diese Annahme auch keineswegs immer falsch. Außerdem weiß ein im Aikido geschulter Angreifer natürlich, wie er sich selbst gegen die Techniken des Verteidigers zu schützen hat und lässt es daher nicht zum Äußersten kommen.

Das technische Repertoire beinhaltet Würfe, Hebel- und Schlagtechniken sowie Entwaffnungsformen. Nach dem Vorbild des Begründers, findet in unserem Dojo das Training mit den traditionellen Waffen (Schwert, Stab, gelegentlich auch Messer) besondere Beachtung. Es ist ein elementarer Bestandteil des Unterrichts, da viele waffenlose Techniken ihren Ursprung in älteren, bewaffneten Formen haben. So ergeben sich wertvolle Synergien, die wir effizient nutzen können.

Leicht wird man einsehen, dass es weit fortgeschrittener Fähigkeiten bedarf, um sich dem Ideal von Morihei Ueshiba anzunähern. Einen entschlossenen Gegner kampfunfähig zu machen, oder ihn zu töten, ist naturgemäß einfacher und gefahrloser, als ihn wirksam zu kontrollieren, ohne ihn zu verletzen. Voraussetzung hierfür ist, neben ausgiebig geschulten mentalen und technischen Kompetenzen, ein Repertoire an Kampftechniken, das eine zuverlässige Überlegenheit gewährleistet. Zwangsläufig erfordert dies, dass eine Technik prinzipiell geeignet sein muss, den Gegner dauerhaft auszuschalten und in letzter Konsequenz auch zu töten. Nur dann kann sie dem Verteidiger die notwendige Kontrolle verschaffen, die es ihm erlaubt, die tatsächlichen Auswirkungen auf einen Angreifer zu regulieren.

Es ist dies der zweite wesentliche Grund dafür, dass im Aikido keine Wettkämpfe ausgetragen werden: Eine Beschränkung der Formen durch sportliche Regeln ist praktisch unmöglich, denn Aikido ist ausschließlich für die effiziente Abwehr realer Angriffe konzipiert. Die Risiken von ernsthaft ausgeführtem Aikido wiederum wären für bloße Sportzwecke nicht zu vertreten.